Joachim Zünder wurde 1956 im rheinischen Troisdorf geboren. Er studierte zeitweise Biochemie an der Freien Universität Berlin, arbeitete als Chemielaborant und lebte an wechselnden Orten im In- und Ausland.
Im Sommer 2011 gründete er zusammen mit Sandra Schaab den Independend Verlag Kaamos Press.
2011 kam der Gedichtband "Rauchgeister" heraus. Zuvor waren die Bände "Die Neigung der Nacht ins Gegenverständnis" (1985) sowie "Skizzen von einer Reise durch den Schlauch" (1996) erschienen. Darüber hinaus gibt es Textveröffentlichungen in Literaturzeitschriften – etwa in Akzente, Sprache im technischen Zeitalter und Signum.
Er lebt heute als Lyriker und Verlagsgründer in Berlin.

 

 

HACKESCHER MARKT IM FEBRUAR

Das Sonnenlicht in der leeren Zeit
Die Passanten in der leeren Zeit
Die Stadt und ihre Geldtransporte in der leeren Zeit

Die leere Zeit ist ein Komplex
Große Sichtbarkeit des Nichts
Der Mensch als ein Sekretär

Von kosmischer Weite keine Spur
Wir zögern – und gehen hindurch
Wir sind Du, und wir sind Ich

Wir sind die Wintersonnenbrille
Auf der Nase eines imaginären Igels
Wir sind Musik, die klagt

Grandioser Asphalt, der Schritte zensiert
Der spitze Frost treibt unser Herz in die Höhe
Dorthin, wo es überleben kann

 

 

HEINRICHPLATZ

Du sagst Halloween, wenn es dunkelt
Und siehst blutige Gesichter
Dämonen, die Kaugummi kauen

Irrwische im schwarzen Rock
Und süßeste Schatten
Zwischen der Herbstlaubschrift

Etwas, das dein Gedächtnis vergoldet
Während die Gunst des letzten Oktobertags
Auf der Zunge siedelt – und lacht


NIKOLSBURGER PLATZ

Die weißen Schuhe des
Akkordeonspielers werden sich
In deinem Gedächtnis verhaken

An unscheinbarer Stelle, in einem
Mantra aus Märzlicht und
Brandenburgischem Schatten


SCHLUCHTEN

In den schluchten seiner unzugehörigkeit
ist der dichter das allerstumpfsinnigste geschöpf
ein echsenkopf hergeboren aus dem
backofen des universums

so durchstreunt er das gemeine regenreiche labyrinth
der stadt unfähig mensch und tier zu unterscheiden

die muskulatur des lichts zuckt zuweilen
in der tiefe seiner zunge

hier wird jemand ausgelöscht!
sagt er
zu sich selbst


RAVINTOLA

Das eis dreht sich im glas, taktvoll, wissend
als gälte es dir eine entscheidung nahezubringen
die auch eine erinnerung sein kann an etwas
das du irgendwann einmal wolltest in irgendeiner stadt
am rande einer abgedunkelten stunde und seitdem vergessen hast
hier in diesem nördlichen archipel einer täuschung
geschieht dein denken noch immer so als geschähe
es auf einer bühne vor einem publikum
das nie existierte dessen eisiges urteil
von anfang an gegeben war